
🪦 Was sind Graveyard-Channels überhaupt?
Der Begriff „Graveyard-Channels“ stammt aus den USA und bezeichnet Mittelwellenfrequenzen, auf denen viele kleine Sender mit geringer Leistung (meist 250–1000 Watt) denselben Kanal teilen. Tagsüber ist das kein Problem – die Reichweite ist begrenzt, und jeder Sender bedient nur seine Region. Doch nachts wird es spannend: Die Ionosphäre reflektiert Mittelwellen-Signale über weite Strecken (Skywave-Effekt), und plötzlich hört man nicht nur den Ortssender um die Ecke, sondern ein chaotisches Stimmengewirr aus halb Europa.
Das klingt wie ein Radiogeistertreffen – daher der Name „Graveyard“. Statt Grabsteinen gibt’s hier Frequenzmarker, und statt Stille ein wildes Durcheinander aus Musikfetzen, Nachrichten und Werbeslogans in allen Sprachen.
🎯 Warum sind sie so attraktiv für Broadcaster und DXer?
Für Broadcaster:
- Kostengünstig: Kleine Sendeleistung, keine teuren Hochleistungsanlagen.
- Lokale Reichweite am Tag: Ideal für Community-Radio, Museumsfunk oder Eventübertragungen.
- Nachtbonus: Wer Glück hat, wird nachts weit über die Region hinaus gehört – kostenloses „DX-Marketing“.
Für Shortwave- und MW-DXer:
- Vielfalt: Auf einer einzigen Frequenz können in einer Nacht 10–20 verschiedene Stationen auftauchen.
- Herausforderung: Das Identifizieren schwacher Stationen zwischen Störern ist wie Angeln im Nebel – und genau das macht süchtig.
- Seltene Fänge: Manche Sender tauchen nur unter bestimmten Ausbreitungsbedingungen auf – ein „One-Night-Stand“ im Äther.
⚙️ Technische Herausforderungen
- Interferenz-Hölle
- Mehrere Sender auf derselben Frequenz = permanentes „Schieben und Ziehen“ im Signal.
- Selektive Fading-Effekte lassen Stimmen geisterhaft ein- und ausblenden.
- Empfangstechnik
- Breitbandige Ferrit- oder Rahmenantennen helfen, Störer auszublenden.
- DSP-Filter und schmale Bandbreiten sind Pflicht, wenn man IDs herauskitzeln will.
- Regulatorische Grenzen
- In Europa sind viele MW-Frequenzen inzwischen stillgelegt oder nur noch für Kleinsender zugelassen.
- Die „Graveyard“-Atmosphäre entsteht hier eher durch internationale Überschneidungen als durch nationale Senderdichte.
📡 Typische „Graveyard“-Frequenzen in Deutschland & Europa
In Deutschland selbst sind die klassischen US-Graveyard-Kanäle (1230, 1240, 1340, 1400, 1450, 1490 kHz) nicht belegt – aber es gibt europäische Pendants, auf denen nachts reger Verkehr herrscht:
Frequenz (kHz) | Typische Sender / Besonderheiten | Bemerkung |
---|---|---|
801 | Ehem. BR-Frequenz, heute Museums- und Eventsender (Cham, Wertingen) | Nachts oft Spanien, UK, Rumänien |
828 | Früher NDR Info Spezial, heute oft Niederlande oder Italien | Starke Nacht-Interferenz |
999 | Spanien, UK, Saudi-Arabien | Klassiker für DXer |
1089 | TalkSport UK, plus Osteuropa | Sehr stark bei guter Ausbreitung |
1107 | AFN Kaiserslautern, plus Spanien und Italien | Militärfunk trifft Mittelmeer |
1143 | AFN Vilseck, plus Osteuropa | Überraschend weitreichend |
1485 | Lokalsender wie JOE in Erlangen, plus Mittelmeerraum | Kleinsender mit DX-Potenzial |
😄 Randnotiz
Wer nachts auf einem Graveyard-Channel lauscht, erlebt oft folgendes: Man hört eine klare Station, freut sich schon auf die ID – und zack, mitten im Satz bricht sie ab, ersetzt durch eine völlig andere Sprache. Das ist wie ein Speed-Dating, bei dem man nie erfährt, wie der Name des Gegenübers war.
t Bodenwelle | |||
19:00–21:00 | 1107 | AFN Kaiserslautern (DEU), RNE5 (ESP), Italien | Militärfunk trifft südeuropäische Plauderei |
20:00–22:00 | 1485 | Lokalsender DE (Erlangen), Italien, Spanien | Kleinsender – ideal zum „ID-Puzzeln“ |
20:30–23:00 | 801 | SER España, BBC Scotland, Rumänien | Abends oft „Signal-Karussell“ |
21:00–00:00 | 1089 | TalkSport UK, Osteuropa | Starke UK-Dominanz, aber Fading bringt Überraschungen |
21:30–01:00 | 828 | Niederlande (regional), Italien | Gute Chance auf seltene Lokalprogramme |
22:00–02:00 | 1143 | AFN Vilseck, Spanien, Italien | AFN oft stabil, aber nachts von Süden „angefressen“ |
23:00–03:00 | 999 / 1107 / 1485 | „Graveyard-Mix“ | Jetzt wird’s chaotisch – perfektes Zeitfenster für Audio-Mitschnitte |
00:00–04:00 | 909, 1053, 1215 | BBC, Absolute Radio, Spanien | Britische Powerhouses, aber auch schwache Osteuropäer möglich |
Vor Sonnenaufgang (ca. 05:00–07:00) | 531, 603, 693 | Algerien, Spanien, UK | Morgendämmerung bringt oft Nordafrika ins Spiel |
🎯 Tipps für den Herbst-DX
- Antennenwahl: Ferritstab für schnelle Richtungsbestimmung, Rahmenantenne für gezieltes Ausblenden von Störern.
- Empfangsorte: Raus aus der Stadt! Feldwege, Deiche oder Waldlichtungen sind oft deutlich ruhiger im Rauschen.
- Aufnahmegerät: SDR mit breitem Mitschnitt (z. B. 1–2 MHz Bandbreite) – so kannst du später in Ruhe „durch die Nacht scrollen“.
- Logbuch: Gleich notieren – im Morgengrauen weiß man sonst nicht mehr, ob das nun „Radio Murcia“ oder „Radio Murica“ war.
📜 Fazit
Graveyard-Channels sind das wilde Nachtleben der Mittelwelle – chaotisch, unberechenbar, aber voller Überraschungen. Für Broadcaster sind sie eine günstige Spielwiese, für DXer ein akustischer Abenteuerspielplatz. Wer sich darauf einlässt, sollte gute Ohren, Geduld und eine Portion Humor mitbringen – denn im Radiograveyard gilt: Die Geister, die ich rief, senden weiter…