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Verlorene Stimmen im Äther – Verlassene Funkanlagen in Deutschlands Lost Places


Es gibt Orte in Deutschland, an denen die Zeit nicht einfach stehen geblieben ist – sie hat sich in den Kabeln verheddert, in den Antennen verrostet und in den Oszillatoren festgefressen. Verlassene Funkanlagen sind stille Monumente einer Ära, in der Kommunikation noch aus Röhren, Relais und Rauschen bestand – und nicht aus Glasfaser, Cloud und Katzenvideos.

Technische Anatomie einer toten Stimme

Eine typische Funkstation der 1950er bis 1980er Jahre bestand aus:

  • Sendeeinheit: Röhrensender mit Leistungen zwischen 1 kW und 10 kW, oft wasser- oder zwangsbelüftet.
  • Empfangseinheit: Superhet-Empfänger mit hoher Selektivität, oft mit quarzstabilisierten Zwischenfrequenzen.
  • Antennensystem: Von simplen Dipolen bis zu gigantischen Kurzwellen-LogPer-Antennen oder Rhombusfeldern.
  • Frequenzbereiche:
    • Kurzwelle (HF): 3–30 MHz – für internationale Kommunikation, z. B. 6,215 MHz oder 14,275 MHz.
    • UKW (VHF): 30–300 MHz – militärische und zivile Richtfunkstrecken.
    • UHF: 300 MHz–3 GHz – Radar, Richtfunk, Abhörtechnik.

Heute sind diese Frequenzen oft leer – oder von Funkamateuren besetzt, die sich fragen, warum ihr Signal plötzlich von einem rostigen Mast in der Pampa reflektiert wird.

Historische Einsatzgebiete

  1. Militärische Horchposten
    • Kalter Krieg, NATO und Warschauer Pakt – beide Seiten hatten ihre Lauscher im Äther.
    • Beispiele: Ehemalige Abhörstationen der „Field Station Berlin“ oder der Bundeswehr in der Rhön.
    • Zweck: Funkverkehr des Gegners mitschneiden, entschlüsseln, Kaffee trinken.
  2. Richtfunkknoten der Bundespost
    • Vor Glasfaser: Richtfunkketten über ganz Deutschland.
    • Frequenzen: 7 GHz, 13 GHz, 23 GHz.
    • Heute: Taubenschlag mit bester Aussicht.
  3. Seefunk- und Flugfunkstationen
    • Küstenfunkstellen wie Norddeich Radio (bis 1998 aktiv).
    • Frequenzen: 500 kHz (Morsenotruf), 2,182 MHz (UKW-Seefunk), 121,5 MHz (Flugnotruf).

Schwarzer Humor aus dem Äther

Die Ironie: Diese Anlagen wurden gebaut, um im Ernstfall den Untergang der Zivilisation zu überleben. Heute überleben sie nur noch als Fotokulisse für Urbexer – und als rostige Mahnmale dafür, dass Technik schneller veraltet als der Inhalt einer Diskette.

Manche Sender waren so stark, dass sie Glühbirnen in der Nähe zum Leuchten brachten – heute bringen sie höchstens den Geigerzähler zum Klicken, wenn man Pech hat.

Und während früher streng geheime Nachrichten über diese Frequenzen liefen, hört man heute dort nur noch atmosphärisches Rauschen – oder den Funkamateur „Klaus aus Wuppertal“, der über seine neue Endstufe schwärmt.